Adam Kubik: Der Blick in den eigenen Spiegel… und in den der anderen Minderheiten
Der Blick in den eigenen Spiegel… und in den der anderen Minderheiten
Adam Kubik
Goethes Worte (hoffentlich nicht) in Gottes Ohr
„Fern von gebildeten Menschen, am Ende des Reiches“ schrieb einst Goethe ins Gästebuch bei seinem Besuch in Oberschlesien, nachdem er die erste Dampfmaschine im kontinentalen Teil Europas – in Tarnowitz – gesehen hatte. Dieser Satz bezieht sich auf das damalige Oberschlesien um 1790, doch Horst Fuhrmann benannte nach dem ersten Teil dieses Zitats Ende des 20. Jahrhunderts seine Buchveröffentlichung über die oberschlesische Kleinstadt Kreuzburg.[1] So betrachteten uns – Oberschlesier – Intellektuelle der fernen und nahen Vergangenheit, deren kulturelles Bezugsfeld nun westlich der Oder liegt und sich von uns abgekapselt zu haben scheint.
Wie ist es heute um die oberschlesische Gesellschaft bestellt? Sind die heutigen Oberschlesier nun „gebildet“, weil viele einen Hochschulabschluss besitzen, oder bleibt Goethes Satz weiterhin in seiner Geltung fortbestehen? Wie viele der einheimischen Oberschlesier zeigen heute das Potenzial zu einem Nobelpreis auf, oder wird nur gekonnt vielerorts über die schlauen Köpfe aus der Vergangenheit berichtet, die zur deutschen Zeit die Region prägten, mit der Hoffnung, dieser Schein glänze weiterhin auf den Taten der heutigen Menschen? Womöglich ist jener Schein nun in der polnischen Sprache zu finden, worauf der letzte Nobelpreis aus Schlesien – von Olga Tokarczuk – hinweisen würde, ebenso wie die wagemutigen Aussagen des sich für „die schlesische Sache“ einsetzenden Szczepan Twardochs, der das Polnische zu seinem Sprachinstrument wählte? Hat das kulturelle Bezugsfeld Schlesiens nun einen derartigen Wandel erlebt, dass sein Zentrum fortan an der Weichsel verortet sei? Scheint das eigene Gemüt diese Transformation verpasst zu haben, oder ist vielmehr die totale Abgrenzung von der westlichen Kulturträgerschaft nicht überzeugend genug, so dass das schlesische Gespür weiterhin bei seiner Verwurzelung bleibt und sich vom Schein der Gegenwart nicht blenden lässt, obwohl diese vernommen wird? Fragen über Fragen, die gestellt werden müssen, damit neue Diskussionen entfachen.
Scharfe Sätze aus den eigenen Reihen sind notwendig
Claus Gatterer, einer der wichtigsten Publizisten Südtirols, äußerte sich über seine Landsleute kritisch: „Die Südtiroler hatten über sich nichts zu sagen“.[2] Eine harte Aussage, ohne die die damalige Periode der intellektuellen Flaute hätte nicht überwunden werden können. Ein simpler Satz, der – wie ich finde – bedauerlicherweise auf die einheimischen Menschen des heutigen Oberschlesiens größtenteils zutrifft, da sie öffentlich fast keine Meinungen äußern. An diesen Satz knüpfte 1969 Norbert C. Kaser in seiner berühmten „Brixner Rede“ an,[3] die mit den bisherigen Kulturträgern abrechnete, einen Kampf „Der Monopolstellung der traditionellen, ideologisch gefärbten Heimatdichtung“ erklärte und damit für eine Aufbruchstimmung sorgte,[4] deren Früchte in der heutigen lebendigen und polyphonen deutsch-italienisch-ladinischen Kulturszene zu erkennen sind.
Eine weitere kontroverse Aussage, die Positives zu der Geschichtsverarbeitung der kleinen, aber europäisch bedeutenden autonomen Region Südtirol beisteuerte, war jene von Rheinhold Messner. Dieser sagte in den 1980er Jahren im öffentlichen italienischen Fernsehen RAI 1 „Penso che nessun popolo ha tradito tanto la ‚Heimat‘ come gli altoatesini“[5] („Ich glaube, es gibt kein anderes Volk, das seine eigene Heimat dermaßen verraten hatte wie die Südtiroler“, übers. A.K.). Damit bezog er sich auf die sog. Südtiroler Option aus dem Jahre 1939. Ein Geschehen, dass die Südtiroler Gesellschaft spaltete auf: jene, die als treue der deutschen Sprache und Kultur das Versprechen Hitlers angenommen hatten und als „Optanten“ ins Reich zogen, somit Südtirol verließen; jene, die als treue der Heimat sich entschieden hatten die italienische Staatsbürgerschaft anzunehmen und als „Dableiber“ im italianisierten Südtirol zu leben; und schließlich die „Rückkehrer“ – ein Teil der „Optanten“, die nach der anfänglichen Annahme der Option zur Rückkehr ins italienischgewordene Südtirol entschlossen haben. Auf diese Aussage Messners hin, entfachte eine rege, doch notwendige Diskussion in der Südtiroler Politik, Wissenschaft und Kultur, wodurch mit der Aufarbeitung des bislang tabuisierten und für die Region wichtigen Themas begonnen werden konnte. Vor dieser öffentlichen Diskussion betrachteten sich die Südtiroler – unabhängig dessen, zu welcher Entscheidung sie oder ihre Vorfahren sich entschieden hatten – gegenseitig als Verräter, entweder gegenüber der Sprache und Kultur, oder aber gegenüber der „väterlichen Erde“. Eine Debatte um ein historisches Geschehen, das eine sehr große Similarität in ihrer Bedeutung zu der Volksabstimmung in Oberschlesien und den darauffolgenden sogenannten „Polnischen Aufständen“ bzw. „Schlesischen Aufständen“ aufzeigt.
Einseitige Betrachtungen der schwierigen Vergangenheit (machen diese umso schwieriger)
Dieses Jahr jährten sich die sehr bedeutsamen Geschehen der „Aufstände in Oberschlesien“ zum hundertsten Mal und sorgten weiterhin für große Unannehmlichkeiten. Dies geht mit der Sinnhaftigkeit der Geschehen, deren Gedenken und der Art und Weise der Feierlichkeiten einher, da ein Prozess der Geschichtsaufarbeitung nicht für die oberschlesische Gesellschaft selbst bislang stattgefunden hatte. Die einseitigen polnischen Darstellungsweisen und der Wille der polnischen Politiker diese Geschehen als Heldentaten darzustellen, lassen dabei die oberschlesische Perspektive nicht bzw. ungenügsam berücksichtigt. Aus dem Grund erscheinen sie für die meisten einheimischen Oberschlesier – unabhängig davon für welche Seite sich die Vorfahren entschieden hatten: ob für Polen oder für Deutschland – als sehr aggressiv, vereinnahmend und erneut wie von einer nationalistischen Ideologie getrieben.
Die oberschlesische Perspektive, die auch August Scholtis in seinem Roman „Ostwind“ (1932)[6] und Szczepan Twardoch in „Drach“ (2014)[7] versuchten literarisch aufzuzeigen – die eines brudermörderischen Konflikts –, bleibt weiterhin nischenhaft vertreten. Sie erscheint somit als tabuisiert für die polenweite Medienwelt, aus der die meisten Oberschlesier heutzutage ihre Informationen schöpfen. Mit den einseitigen Darstellungsweisen und ungenügenden Diskussionsmöglichkeiten über diese Geschehnisse und die daraufhin erfolgte große Enttäuschung von der polnischen Realität seitens der einheimischen Oberschlesier aller nationalen Gesinnungen – auf die erst kürzlich Zbigniew Rokita in seiner Reportage „Kajś“ (2020)[8] hingewiesen hatte –, trägt es zu keiner historischen Aufarbeitung für diejenigen Menschen bei, die es am meisten betrifft, und zwar die einheimischen Oberschlesier.
Aus der soziopsychologischen Betrachtung der Vergangenheit bedeutet es, dass das konfliktreiche Potenzial dieser Ereignisse vor hundert Jahren auf diese Weise nicht entschärft, sondern lediglich durch ein Nicht-Vergessen-Können und das Gefühl des Umgehenwerdens für die Oberschlesier potenzialisiert wird, der sich zum Zeitpunkt seiner Entladung als eine umso größere Kontroverse für die polnische Gesellschaft offenbaren wird. Das weist wiederum auf die sehr große Dringlichkeit eines offenen Aufarbeitungsprozesses hin, der an keine national(istisch)e Prägung gebunden werden darf.
Ausgrenzung wendet sich gegen das Eigene
In den 1980er Jahren schrieb infolge der bislang aufgezeigten intellektuellen Vorarbeit in Südtirol – das zu dem Zeitpunkt bereit war neue Wege einzuschlagen – der Schriftsteller Joseph Zoderer einen kurzen Roman, dessen Bedeutsamkeit bis heute bestehen bleibt. In „Die Walsche“[9] – so heißt dieser Roman – wurde eine einheimische Südtirolerin als Verräterin eingestuft, weil sie sich auf ein Verhältnis mit einem Italiener eingelassen hatte. Daraufhin wurde sie mit Ausschluss aus der einheimischen Gesellschaft bestraft und nach einer abschätzigen Bezeichnung für Italiener – „Walsche“ – benannt (für oberschlesische Verhältnisse müsste dieser im Titel verborgene Begriff mit „die Hadziajka“ in Bezug auf eine einheimische Oberschlesierin übersetzt werden)[10]. Ein Buch, dass große Wellen schlug, da es das Thema der verkrusteten einheimischen Identität aufwirbelte und Platz für eine zeitgemäße, eigene Identitätszuschreibung schuf. Die durch längst veraltete und aufgezwungene Interpretationsweisen, wie Heimat zu verstehen sei und was das Regionale ausmache (wodurch diese Begriffe nur als beschwerliche Zuschreibungen funktionierten), wurden um neue Konzepte ergänzt, die der aktuellen Zeit entsprachen. Dieser so erweiterte und zeitgemäße Interpretationsspielraum dieser Kategorien, kam jenen vertraulicher vor, die aus den Potenzialen des Grenzgebietes schöpften und das Leben in ihm weiterentwickeln konnten. Im Roman wurde die „typische Intellektuellenfeindlichkeit einfacher Bevölkerungsschichten“[11] angesprochen und kritisiert, denn diese widersetzten sich einer zeitgemäßen Betrachtung der regionalen Potenziale und ihrer Ausschöpfung nach zeitgemäßen Möglichkeiten.
Die einheimischen Intellektuellen, die imstande wären, diesen benötigten Aufschwung zu tätigen, werden in solchen Fällen oft als „Feinde aus den eigenen Reihen“ angesehen und erfahren einen Entfremdungsprozess, der sie entweder zur Emigration oder zu verdummender Anpassung an die gegebenen Umstände zwingt. Diese Beschreibung scheint ebenso für das gegenwärtige Oberschlesien zu gelten, weil eine rege Auseinandersetzung in allen Sprachen der Region nicht alltäglich zu verzeichnen ist und die institutionellen Strukturen meist verkrustete Betrachtungsweisen aufzeigen. Die deutsche Minderheit kann z.B. keine zeitgerechten Lösungen finden, die weder die Deutschsprachigkeit in den Alltag einführen, noch eine rege deutschsprachige, intellektuelle und offene Auseinandersetzung ermöglichen, die zeitgemäße schlesische Themen zulassen und behandeln würde, obwohl Lösungen dieser Art schon längst anderswo vorliegen. Durch eine für sich beanspruchte „Monopolstellung der traditionellen, ideologisch gefärbten“[12] Lebensweise, was das Deutschsein in Oberschlesien anbelangt, weist die strukturelle deutsche Minderheit viele deutschsprachige Oberschlesier von sich ab und führt dazu, dass diese sich von ihr abgeneigt fühlen.
Das Ausschöpfen des mehrsprachigen Potenzials Oberschlesiens benötigt einen dringenden Aufschwung durch intellektuelle Unterstützung und Erfahrung, die von der herrschenden Politik losgelöst ist und sich der regionalen Beschaffenheit widmet, doch diese kommt durch das Fehlen von wagemutigen intellektuellen Eliten nicht zustande. Deshalb sollten auch umso mehr die als „Feinde aus den eigenen Reihen“ Angesehenen zugelassen werden, da sie die nötigen Änderungen durchnehmen würden. Doch dies entspricht nicht der vorherrschenden Mentalität, der aktuellen Menschen in Führungspositionen der deutschen Minderheit, für die Erfahrung gleichbedeutend mit Alter ist und die sie nicht in fachlichen Kompetenzen erblicken können.
Heimat bleibt Heimat, doch ihre Menschen nicht immer
Eine fortbestehend ablehnende Haltung der sogenannten „regionalen Eliten“ gegenüber dem Potenzial der einheimischen (deutschsprachigen) Intellektuellen aus der Region, die nicht immer vor Ort verbleiben (dürfen), führt letztlich zu einer Wahrnehmung der eigenen Heimat, die sich als „Schöne Welt, böse Leut“[13] beschreiben ließe. So bezeichnete nämlich der bereits erwähnte Claus Gatterer das heimatliche Südtirol in seiner autobiografischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Region.
Eine Ermöglichung des Wortergreifens zum intellektuellen Austausch auf zu errichtenden Plattformen und die reale Berücksichtigung der deutschsprachigen intellektuellen Stimmen, ist für die oberschlesische Heimat unabdingbar. Nur so kann ein zeitgemäßer Umgang mit den immer noch gegebenen, doch schwindenden sprachlichen Potenzialen aufgezeigt und weiterentwickelt werden. Andernfalls droht Oberschlesien weiterhin ein Braindrain, da Menschen die „gierig nach Sprache“[14] sind – wie die Südtiroler Schriftstellerin Maxi Obexer in „Europas längster Sommer“ schrieb – sich entweder in der polnischen Hochkultur auflösen oder in die deutschsprachigen Länder auswandern werden, „um eine Sprache zu finden“[15] – wie sie weiterschreibt. Diese Formulierung „um eine Sprache zu finden“ bedeutet nicht etwa eine wörtlich genommene „eine Sprache“, sondern viel mehr eine einheitliche und weitumfassende Aussage, die der modernen Weltzuschreibung und der regionalen Beschaffenheit einen Ausdruck verleiht, die nachhaltige Perspektiven schafft. Eine derartige zeitgemäße Aussage verleiht den Menschen gegenwärtige und zukunftsbezogene Identifikationsmöglichkeiten, statt sich in den gegebenen verkrusteten Denkweisen stets weiter zu verheddern.
Die bereits erwähnte Aufbruchsstimmung in Südtirol führte zu einer Weiterentwicklung und zur Gründung zahlreicher Kulturzeitschriften, u.a. „Distel“, die heute als Distel-Vereinigung bekannt ist und monatlich „Kulturelemente. Zeitschrift für aktuelle Fragen“ herausgibt. Umso erwähnenswerter ist hierbei, dass eben in dieser Zeitschrift „Kulturelemente“ im Dezember 2019 ein Gedicht von Jo Hannes Schlonsok veröffentlicht wurde, das die Sprachenproblematik in Oberschlesien aufgreift. „(Nicht) (mehr)“ heißt dieses Gedicht und bietet viel Interpretationsspielraum, was zudem die regionalen Identifikationsmöglichkeiten mit neuen Reflexionen versieht, um daraufhin weitere Diskussionen fortzuführen. Denn wie es abschließend in diesem Gedicht heißt: „An uns liegt die Möglichkeit / einer Umformung im Rahmen der Freiheit.“[16]
Artigkeit als Balast
Der ostbelgische Schriftsteller Freddy Derwahl widmete sich in dem 2006 veröffentlichten Roman „Bosch in Belgien“ seinen Landsleuten, deren belgische Deutschsprachige Gemeinschaft zwar nur ungefähr 76.000 Menschen zählt, doch über ein autonomes Parlament verfügt und somit selbst über Bildungsangelegenheiten entscheiden kann. In dem für die Region äußerst wichtigen Roman verarbeitete Derwahl die knapp hundert Jahre zählende Geschichte der Verwirrung, um so eine historische Aufarbeitung des Vergangenen zu leisten und gegen stereotypenhafte Zuschreibungen anzukämpfen. Eines davon war, die als Beleidigung gemeinte und die damalige Beschaffenheit der Region beschreibende Bezeichnung: „die bravste Minderheit Europas“.[17] Nachdem die Ostbelgier diese Bezeichnung für sich abgelegt hatten, um einen eigenen Weg zu gehen, und für sich das Konzept der Transnationalität wählten, wurden sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse zu den belgischsten aller Belgier,[18] da sie den Mehrwert ihrer Lage auszuschöpfen wussten. Der von ihnen davor getragene Titel wird jedoch – wie die globale Betrachtung von europäischen deutschen Minderheiten feststellen lässt – nun von der deutschen Minderheit in Oberschlesien mit Stolz getragen.
Mit „die bravste Minderheit Europas“[19] kann nun – als Vertretung der braven Bürger Polens mit ihrem Sitz in der „Hauptstadt des polnischen Liedes“[20] Oppeln – die deutsche Minderheit in Polen betitelt werden. Diese spricht – bravheitsbedingt und an die Mehrheitsgesellschaft angepasst – die polnische Landessprache lieber als die eigene – zumindest als „Muttersprache“ angegebene – deutsche Sprache. Obwohl ihr die polnischen und europäischen Minderheitengesetze offiziell dieses Recht gewährleisten, so möchten die Vertreter der deutschen Minderheit mit der Sprache des größten nationalen Feindes Polens nicht anecken und ziehen sich vorsichtig in die polnischsprachige minderwertige Position zurück. Die Hoffnung darauf, nachahmungswürdiges Standarddeutsch innerhalb der strukturellen polnisch-/schlesischsprachigen Deutschen Minderheit vorzufinden, verfliegt damit ebenso schnell, wie die Erwartung die aktiven Sprachkenntnisse des Deutschen bei allen Mitarbeitern dieser Organisation, den Abgeordneten Ryszard Galla miteinbezogen, anzutreffen. Etwas, das in anderen internationalen Organisationen als Standardvoraussetzung vertreten ist, gilt hierbei als große Ausnahme, die zudem oft als negativ zu wertende „Germanisierung“ verstanden wird, die die Mehrheitsgesellschaft unnötig aufwühlen würde, wenn die deutsche Minderheit tatsächlich deutschsprachig wäre.
Auf regionale Institutionen ist (kein) Verlass
Darüber hinaus sei erwähnt, dass die im größten Siedlungsgebiet verortete polnische Universität, die einst für sich beansprucht hatte, eine Hochschule auch für die einheimischen Oberschlesier aus der Region zu sein, bei Veröffentlichungen in deutscher Sprache ebenso gern auf die Bezeichnung „Oppeln“ verzichtet.[21] Dies erfolgt mit einer als nachvollziehbar zu scheinenden Begründung – die Stadt heiße nun für Polen „Opole“, und mit einer umso nicht nachzuvollziehbaren Ignoranz gegenüber den oberschlesischen Deutschen, für die der deutsche Name immer noch gilt (ebenso wie „Wilno“ für litauische Polen ein gängiger Begriff ist, statt des heutigen Namens „Vilnius“), wo doch diese Universität vor allem für die Menschen der Region errichtet worden war. Bedauerlicherweise besteht an der auf Deutsch zu benennenden „Universität Opole“ keine Auslebungsmöglichkeit des regionalen Deutschtums für die Studierenden, wenn sie keine Auslandsgermanistik studieren möchten, da zum einen keine Studienrichtungen in deutscher Sprache angeboten werden, zum anderen die Internetseite in deutscher Sprache nicht vorhanden ist. Das wird wiederum damit begründet, dass „aus pragmatischen Gründen“ alle Oberschlesier die polnische Sprache zu beherrschen haben, womit sich die Sinnhaftigkeit für die Deutschsprachigkeit erübrigt. Die Vertreter dieser Hochschuleinrichtung sind auch imstande – im Falle von ihnen nicht entsprechenden politischen Vorstellungen – die einheimischen oberschlesischen Wissenschaftler mithilfe von einer insinuierten Polenfeindlichkeit eher anzuklagen, als dass sie von ihnen als regionenspezifische Forscher unterstützt werden, was in den 2000er Jahren mit dem Werdegang des heute an der ältesten schottischen Universität lehrenden Prof. Tomasz Kamusella zur Schau gestellt worden ist.[22]
Anders als die zahlreich an dieser Universität vertretenden ukrainisch-/russischsprachigen Studierenden, die ebenso einer Pflicht das Polnische zu beherrschen obliegen, wird jedoch ihnen „aus pragmatischen Gründen“ mit einer russischsprachigen Informationsgestaltung entgegengekommen. Die universitäre Situation in anderen europäischen Gebieten, die Minderheiten dieser Größenzahl besitzen, fällt völlig anders aus, denn mehrsprachige Studiengänge sind dort meist etwas Normales (dreisprachige Universitäten u.a.: Freie Universität Bozen in Südtirol oder Babeș-Bolyai-Universität im rumänischen Cluj-Napoca) und das regionale Potenzial wird gefördert und weiterentwickelt.
Die für die regionale Minderheiten unterstützende Rolle der polnischen Universität Oppeln offenbart sich gar darin, dass mit der Hochschulreform 2018 auf das bislang für die Region identitätsunterstützendes Institut für Germanistik verzichtet wurde. Dieses konnte folglich ohne aktive Proteste erfolgreich aufgelöst werden. Eine Hochschuleinrichtung die pragmatisch im Umgang mit der Pflege des europäisch-sprachlichen Kulturerbes der Region umgeht, fügt letztlich zu dessen Schwinden bei und bietet keine Möglichkeit einer Identitätskontinuität an, weswegen ihre Platzierung in den hinteren Reihen der universitären Weltrankings auch nicht überrascht.
Die eigenen Intellektuellen als „Klotz am Bein“
Die strukturelle deutsche Minderheit hatte sich in der 30-jährigen Vergangenheit sehr viele äußerst gravierende Fehler erlaubt, infolge derer die Region bedeutende Intellektuelle verlor, u.a. sei hierbei erneut Prof. Tomasz Kamusella erwähnt. Die Verantwortlichen für diese Eklats sind sich bis heute noch zu schade, um sich bei den zuvor öffentlich Angeklagten ebenso öffentlich zu entschuldigen, obwohl ihre Unschuld vor Gericht nachgewiesen werden konnte. Es überrascht umso mehr, dass die Ankläger weiterhin führende Positionen im Rahmen der deutschen Minderheit beziehen und die anderen Vertreter der deutschen Minderheit mental weiterhin auf dem gleichen Kurs verbleiben, trotz eines scheinbar vollzogenen Generationswechsels. Zeugt dies etwa von einer zur mentalen Erbschaft erzogenen Nachfolgerschaft innerhalb dieser Institutionen oder eher von einer fortschreitenden mentalen Polonisierung der einstigen Deutschen in Oberschlesien?
Für eine dieser Annahmen würde u.a. der Fakt sprechen, dass die Vertreter der deutschen Minderheit sich fast gar nicht für eine aktive Unterstützung des seit knapp 20 Jahren tätigen Eichendorff-Zentrums engagieren, worauf die bis heute fehlende deutschsprachige Internetseite hinweist, die veralteten Angaben über die Publikationsliste oder den wissenschaftlichen Beirat auf der polnischsprachigen Internetseite, ebenso wie die fehlenden Informationen über die Möglichkeiten zum Erwerb dieser Veröffentlichungen, die nicht einmal in den Medien der deutschen Minderheit zu finden sind.
Das Eichendorff-Zentrum ist die einzige Einrichtung, die konstant seit knapp zwei Jahrzehnten unter der wissenschaftlichen Leitung der sehr engagierten Prof. Dr. Joanna Rostropowicz und ihren KollegInnen, wissenschaftliche Beiträge zu Schlesien aus der regionalen Perspektive (ohne eine aufgezwungene polnischnationale political correctness) zulässt und diese u.a. in der deutschen Sprache veröffentlicht. Aufgrund der erwähnten Vernachlässigung können diese wertvollen und mühselig erstellten wissenschaftlichen internationalen Publikationen nicht die erwünschte Wirkung in der Forschungswelt offenbaren, da sie auf zu geringe Wertschätzung seitens der strukturellen Vertreter der deutschen Minderheit stoßen, von denen diese eher ignoriert bzw. belächelt werden. Von diesen Missständen wird auch bedauerlicherweise bereits in wissenschaftlichen Beiträgen berichtet.[23] Mir – als Mitwirkenden mit wissenschaftlichen Beiträgen im Rahmen des Eichendorff-Zentrums (ohne Bezahlung) – fehlen selbst Informationen darüber, wie ein deutschsprachiger Mensch anhand der Internetseite www.eichendorff.pl diese Veröffentlichungen erwerben könnte.
Eingeständnis ist besser als Verleumdung, zudem verleiht sie Identität
Es verwundert umso mehr, dass die Vertreter der strukturellen deutschen Minderheit in Oberschlesien, die überwiegend schlesischsprachig sind, sich bei der Beschreibung der eigenen ersten Muttersprache meist des polnischen Narrativs als „Dialekt des Polnischen“ bedienen, der in der kommunistischen Zeit sehr stark geprägt war. Diese Menschen sprechen oft nicht von einer eigenständigen schlesischen Sprache, sondern aufgrund der genannten Bezeichnung als Dialekt erfolgt die Gleichstellung mit Polnisch, weswegen folglich die Rede von der („inkorrekten“/„dialektalen“/„unfeinen“) polnischen Sprache ist. Diese so aufgeführte polnisch-deutsche „Zweisprachigkeit“, entspricht jedoch in den seltensten Fällen der Wirklichkeit. In Wahrheit handelt es sich innerhalb der Verwandtschaftsbeziehungen um eine schlesisch-deutsche Bilingualität, die sich bei öffentlichen Interaktionen mit der Mehrheitsgesellschaft zu einer polnisch-deutschen Zweisprachigkeit wandelt. Folglich ist es eine praktisch angewandte, doch nicht anerkannte Trilingualität. Diese Dreisprachigkeit erfährt jedoch sehr selten Wertschätzung – weder intern von der Minderheit, noch extern von der Mehrheit, zumal die Vertreter der deutschen Minderheit viel zu selten zugeben, das Schlesische als eine eigenständige Regionalsprache zu sprechen.
Es ist insofern wichtig, dass, statt den Wert einer Benennung des Schlesischen als Regionalsprache zu übersehen bzw. zu ignorieren, es doch viel sinnvoller wäre, sich für die Bestätigung ihres Status‘ zusammen mit anderen schlesischen Organisationen einzusetzen. Schließlich handelt es sich dabei um eine von ihren zwei/drei Muttersprachen. Mit der Anerkennung des Schlesischen als Regionalsprache vom polnischen Staat, wäre es möglich finanzielle Mittel aus den von ihnen selbst gezahlten Steuern einzufordern. Damit bliebe das Fortbestehen des regionalen Kulturerbes und Identität befestigt, gesichert und fortbestehen. Davon kann leider nicht immer die Rede sein, wenn Personen „gierig nach Sprache“[24] oft karrierebedingt in der polnischen „Hochsprache“ aufgehen, „um eine Sprache zu finden“,[25] dabei aber ihre Herkunft vergessen oder das sprachliche Kulturerbe der Herkunftsregion ablegen und dieses an die nächsten Generationen nicht mehr weitergeben.
Der Status einer Regionalsprache für das Schlesische würde ebenso den Bildungsweg in einer Trilingualität offiziell möglich machen. Es könnten Klasseneinheiten auf allen Bildungsebenen mit Minderheitensprachen Deutsch und Schlesisch als Unterrichtssprachen errichtet werden, zu denen auch das Pflichtmodul der sog. „polonistischen Ausbildung“ mit Polnisch, polnische Geschichte und polnische Erdkunde gehört. Erst eine derartige trilinguale Lösung dürfte als ein hinreichender Umgang mit dem europäischen sprachlichen Kulturerbe Oberschlesiens verstanden und als entsprechende Bildungsmaßnahme für diese kulturträchtige Region Europas angesehen werden, wie sie u.a. in dem etwas kleinerem als Oberschlesien EU-Staat Luxemburg vorzufinden ist.[26]
Wir und ihr gemeinsam gleichberechtigt und bereichert
Freddy Derwahl ließ in dem bereits erwähnten Roman einen seiner Protagonisten zu Wort kommen, um die bis dahin geltende negative Zuschreibung als „bravste Minderheit Europas“ zu durchbrechen, indem dieser die folgenden Parolen von sich gab: „Wir sind, was wir sind. Wir bleiben, was wir sind“.[27] Diese Aussage erscheint auch zutreffend für Oberschlesien zu sein. Mit dieser Äußerung fühlten sich andere Protagonisten verstanden, konnten sich damit identifizieren und sie spendierte ihnen eine Hoffnung auf ein gesichertes Fortbestehen, ohne Vereinnahmung von einer nationalen „Hochsprache“ oder „nur einen Identität“. Zudem verfasste Derwahl zu Beginn seines Romans ein Zitat von Ernst Bloch: „Wir wollen dort nicht einsam sein, wo wir endlich leben“,[28] um einem Prozess der Vereinnahmung und Assimilierung nicht ausgesetzt zu sein, aber auch um in keine Isolation von der Mehrheitsgesellschaft zu flüchten.
Das gleichzeitige Betrachten beider Aussagen zeigt, dass sie Berechtigung genug sind für die eigene Existenz und ihre regionale Eigenart, wie auch für ein gleichwertiges Leben mit jenem, der Mehrheitsgesellschaft, das von Menschen, die zu nationalen und ethnischen Minderheiten gehören, normal gelebt werden möchte. Anders betrachtet erteilen diese Äußerungen auch die Möglichkeit für die Mehrheitsgesellschaft zur Begegnung und aktiven Auseinandersetzung mit den einheimischen Einwohnern einer Grenzregion wie Oberschlesien und seiner kulturell-sprachlichen Vielfalt, denn dieser lässt es sich nur im direkten Kontakt mit den regionalen Menschen wahrlich begegnen. Ohne diese direkte Bekanntmachung mit den Eigenarten z.B. Oberschlesiens, ist ein wahres Sich-heimisch-Fühlen nicht gegeben, da die typisch regionalen Elemente stets von etwas Fremden in unmittelbarer Umgebung zeugen werden. Eine Begegnungskultur mit dem mehrsprachigen Eigenheiten der Region und ihre gleichwertige Stellung mit der vorherrschenden Kultur der Mehrheitsgesellschaft, ist als eine einzig würdige und gerechte Lösung für die Jahrhunderte alte und für diese Regionen typischen Traditionen anzusehen.
Eine einseitige künstliche Konstruktion der Vergangenheit, die z.B. das ausschließliche Polentum zu beweisen versucht, ist keine der Region und den einheimischen Menschen würdige Lösung. Diese zwingt sich den einheimischen Einwohnern respektlos mit einer konstruierten Fälschung von regionalen Beschaffenheiten politisch auf und präsentiert diese gefälschten Inhalte – z.B. den einheimischen Oberschlesiern – durch Bildung, Arbeit und Medien als „wahre“ Kultur und Geschichte. Gleichzeitig berauben diese konstruierten Wissensinhalte ihnen ihre Herkunft und stoßen ihnen mental bis zum Hals auf, zumindest solange die Einheimischen ihre eigene Erzählung der Vergangenheit noch kennen.
Einige Worte an die Narrativführenden zu Oberschlesien
Diese negativen Beispiele von aufgezwungenen Narrativen lassen sich zu Genüge in den regionalen und polenweiten polnischsprachigen Medien und der Wissenschaft finden, sobald von „Opolszczyzna“ (Region um Oppeln) oder „Opolanie“ (Opolanen) berichtet wird. Die Endung „-szczyzna“ stellt nämlich einen vereinnahmenden Russizismus dar, der mit „Opolszczyzna“ als einzigen Bezeichnung in Westpolen bewusst eingesetzt wurde, um gegen das größte Siedlungsgebiet der deutschen Minderheit und schlesischer (nichtpolnischer) Eigenart mit polnischen Narrativen anzukämpfen. Alle anderen westpolnischen Gebiete in direkter Nachbarschaft mit Oberschlesien besitzen diesen – bei einheimischen Oberschlesiern Aufstoß erregenden – Russizismus in ihrer polnischen Bezeichnung der Region nicht z.B.: „Wielkopolska“ (Großpolen), „Dolny Śląsk“ (Niederschlesien), „Małopolska“ (Kleinpolen).
Ich für meinen Teil bin als ein gebürtiger und seit Generationen in Oberschlesien beheimateter Oberschlesier weder ein Bewohner einer fiktiven Region „Opolszczyzna“, noch spreche ich ganz bestimmt eine Sprache wie „śląszczyzna“, noch möchte ich vereinnahmend als „Opolanin“ bezeichnet werden. Ich bin ein Bewohner der ausschließlich aus aktuellen verwaltungstechnischen Gründen als Woiwodschaft Oppeln (auf Polnisch: „województwo opolskie“) zu bezeichnenden Region „(West)Oberschlesien“ (auf Polnisch: „(Zachodni) Górny Śląsk“) und spreche die schlesische Sprache (auf Polnisch: „po naszymu“ – als Eigenbezeichnung, bzw. „po śląsku”/“język śląski“), wie auch die deutsche Sprache (auf Polnisch: „po niemiecku“/“język niemiecki“ und keine „niemszczyzna“). Und als ein einheimischer Einwohner dieser Region bin ich ein Oberschlesier, und kein (ehemaliges) Einkaufzentrum in der Stadt Oppeln bzw. kein polnischer Einwohner dieser Stadt – „Opolanin“.
Die Bezeichnung des Stadteinwohners ist hierbei nicht als pars pro toto auf alle Menschen der Region übertragbar. Dies lässt sich damit begründen, dass die Einwohner der ländlichen Region die eigentlichen Träger der oberschlesischen Kultur und Identität sind und nicht die polnische Mehrheitsgesellschaft der polnischgewordenen Landeshauptstadt mit ihrer Betitelung als „Hauptstadt des polnischen Liedes“,[29] in der die vielen Denkmäler jeglichem „Unpolnischen“ den Kampf aussprechen (z.B. Denkmal „Den Kämpfern für das Polentum des Oppelner Schlesiens“). Zu viele Anzeichen sprechen in Oppeln dafür, dass man als einheimischer Oberschlesier sich mit der Stadt nicht identifizieren kann, da man nicht willkommen geheißen wird, aufgrund der schlesischen und deutschen Sprachkenntnis, die entweder ausgelacht, verspottet oder einfach nicht verstanden wird. Somit ist es deutlich, dass die Bezeichnung „Opolanie“ die eigentlichen Einwohner Oberschlesiens negiert, diskriminiert und mit der Anknüpfung an das polnische Narrativ eines mittelalterlichen slawischen Volksstammes aus dem 10. Jahrhundert den Status eines gegenwärtigen tatsächlich vorfindbaren „Oberschlesiers“ zugunsten eines vermeintlich zu vermutenden „Opolanen“ diskreditiert, womit sich erneut das negierend-aggressive Aufzwingen der polnischen, konstruierten Narrative offenbart.
Ich möchte hiermit allen polnischen JournalistInnen, WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, LehrerInnen und allen anderen Ausführenden von Berufen, die mit Narrativen umgehen, nahebringen, dass ich als einheimischer Oberschlesier nicht vereinnahmend von einem polnischen assimilierenden Narrativ einbezogen werden möchte und bin nicht gewillt diese vereinnahmende Narrativführung als akzeptabel anzusehen oder sie mir anzueignen, mit dem Verständnis, es solle sich bei den Begriffen „Opolszczyzna“ um die (west)oberschlesische Region, bei „Opolanie“ um alle Einwohner der (west)oberschlesischen Region, und bei „śląszczyzna“ um meine Muttersprache handeln, die wahrscheinlich von den Ausführenden dieser Berufe nur selten aktiv beherrscht, benutzt und offen zu ihr bekannt wird. Wie viele Oberschlesier sich meiner Meinung anschließen, kann ich hierbei nicht sagen, aber ich als junger Intellektueller der einheimischen deutsch-schlesischen Herkunft, wollte es mitteilen und hoffe auf die Berücksichtigung dieser Umstände.
Von nun an betrachte ich jegliche Narrative, in denen die polnischen Begriffe auftauchen, ohne die zusätzliche schlesisch-deutsche Zuschreibung, dass diese eine ausschließlich polnische Perspektive vertreten und sich diese lediglich den polnischen Teil der regionalen Gesellschaftsbevölkerung widmen und an sie richten, ohne dass dabei die einheimischen Oberschlesier berücksichtigt bzw. als Adressaten gemeint worden sind, da sie von derartigen – bisher verwendeten – Narrativen nicht ihrer Eigenzuschreibung gerecht erfasst worden sind, was einer hart erarbeiteten annähernden Dialogkultur entspricht.
Unterschiedliche Narrative für eine Region sind möglich
Es ist akzeptabel, dass zwei unterschiedliche Narrative zu einem Gebiet parallel geführt werden, wenn die dahinterstehenden Perspektiven ganz unterschiedlich bzw. nicht ebenbürtig ausfallen. Dies funktioniert schließlich auch in anderen Regionen der Gegenwart. Als Beispiel hierfür eignet sich Südtirol, das in italienischer Sprache mit dem aus der vereinnahmend-italianisierenden Zeit stammenden Begriff „Alto Adige“ (Obere Etsch) bezeichnet wird und zudem mit „Sudtirolo“, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Verbreitung findet. Der Gebrauch von „Alto Adige/Sudtirolo“ und „Südtirol“, wie auch von „Bozen“ und „Bolzano“ ist je nach Sprache und Zuschreibungswille möglich, da eine aktive kritische Auseinandersetzung über die Begriffssemantiken vor Jahrzehnten begann und einer mittlerweile offenen Diskussion obliegt.
Ähnlich verstehe ich die Verwendung von Namen als Begriffen, die nicht einseitig sind und ausschließlich vereinnahmen möchten, sondern auch die kulturellen und identitätsbezogenen Eigenheiten aller wesentlichen Menschengruppen berücksichtigen. Auf diese Weise wird eine Verwurzelung in Bezug auf die oberschlesische Region allen ermöglicht, sowohl in der staatlichen Sprache, wie auch in den bereits von der einheimischen Bevölkerung besitzenden Sprachen. Der ausschließliche Gebrauch von den oben angeführten polnischen Begriffen kann dies nicht gewähren, da es lediglich die einseitige – polnische – Perspektive allen Bewohnern der Region aufwirft und einer diskriminierenden Methode folgt, deren sich erst kürzlich der PiS-Abgeordnete Janusz Kowalski bediente, indem er verlangte die deutschen Namen abzuschaffen mit der nationalistisch-diskriminierenden Mahnung: „Hier ist Polen!“.[30]
Für die weitere Praxis der Narrativführung in Oberschlesien bedeutet dies, dass die historischen Begriffe „Górny Śląsk“ und „Ślązak“ bzw. „Górnoślązak“, neben den gegenwärtig inflationär gebrauchten konstruierten Bezeichnungen „Opolszczyzna“ und „Opolanie“, erneut verwendet werden müssten. Zudem sollten die dahinterstehenden Personen – besonders JournalistInnen, PublizistInnen, WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen – den Mut finden und sich trauen die deutschen Entsprechungen – „Oberschlesien“, „Oberschlesier“ und „Oppeln“ – zu benutzen, als Ausdruck einer toleranten und offenen regionsspezifischen Haltung, die alle für die Region wesentlichen Menschengruppen berücksichtigt. Auf diese Weise verleihen die Verantwortlichen den Narrativen einen Ausdruck von Toleranz und Offenheit, die sich jeglicher Anfeindungsversuche konsequent widersetzt. Dies sollte die regionenbezogenen Narrative auf europäische Standards bringen, die den hier verorteten, öffentlichen meinungsbildenden Instanzen noch ziemlich fremd vorkommen, da sie nicht alle wesentlichen Perspektiven berücksichtigen und dies in ihren Narrativen dementsprechend ungenügend zum Ausdruck bringen. Das bedeutet, dass in der nahen Zukunft auch in den polnischen Medien die Bezeichnungen „(West)Oberschlesien“, „Oberschlesier“ und „Oppeln“ zu finden sein müssten, ohne dabei für unnötiges Aufsehen zu sorgen, da es von den einheimischen Einwohnern benutzte Begriffe sind. Schließlich ist eines der Ziele von Medien die zu beschreibende Realität widerzuspiegeln und nicht bloß diese stets neu zu konstruieren. Aus dem Grund müssen ebenso Begriffe im medialen Gebrauch sein, die eine Kontinuität der Identitätsauslebung für alle nationalen und ethnischen Menschengruppen schaffen, die Ansprüche auf die Region haben, sei es historischer, herkunftsbezogener, politischer oder gegenwartsbezogener Art. Es sei hierbei erwähnt, dass die in Oberschlesien nicht verwurzelte ukrainische Sprache innerhalb des letzten Jahrzehnts polenweit, ohne dabei große Schwierigkeiten zu erzeugen, als inoffizielle Hilfssprache teilweise Einzug in die Öffentlichkeit gefunden hat.
Angebliche Vertreter der Oberschlesier als Hörige der konstruierten Narrative
Bislang erfolgte ein einseitiger Trend, bei dem die zu Polonisierungszwecken konstruierten Begriffe überwiegend in die deutsche Sprache transportiert wurden und die deutschen Oberschlesier sich dem zu fügen hatten. Diese Feststellung ist anhand der von Monika Czok durchgeführten Analyse in „Oppelner Schlesien“ (2020)[31] zu entnehmen, worauf aber auch bereits 2012 Michał Smolorz mit „Śląsk wymyślony“ (Erfundenes Schlesien)[32] hinwies.
Diese einseitige polnische Narrativführung, die bislang nur in die deutsche Sprache überschwappt, ist deutlich an dem oben angeführten Beispiel mit der Universität Oppeln zu entnehmen. Diese Hochschuleinrichtung offenbart damit, dass sie keine vollumfängliche identitätsstiftende und -stützende Instanz für die oberschlesischen Deutschen ist, sondern vertritt – wie die meisten staatlichen Institutionen der Region – die polonisierenden Tendenzen. Auch am Instytut Śląski (Schlesisches Institut) in Oppeln verweist nichts auf eine deutschsprachige Forschungsgruppe, die ein Gleichgewicht für die Darstellung von Perspektiven sorgen würde. Ebenso wird der Fehler – die polnischen einseitigen Narrative zu vertreten – von der vermeintlichen Vertreterorganisation der Deutschen in Oberschlesien begangen. Damit beweist sie bedauerlicherweise, den Titel „die bravste Minderheit Europas“,[33] verdientermaßen verliehen bekommen zu haben, da sogar die größte regionale Organisation in Westoberschlesien in seinem Namen die deutsche Übersetzung des polnisch geprägten Begriffes „Śląsk Opolski“ trägt: Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien. Dadurch verhilft sie sich dem polnischen Narrativ zu etablieren und verursacht, dass das deutsche Narrativ mit der Bezeichnung „Oberschlesien“ sich nicht im offiziellen Umlauf befindend schwindet. Und durch die fehlende Verwendung der deutschen Regionsbezeichnungen in offiziellen Namen, gelangen diese umso weniger in das polnische Narrativ. Damit folgt die Organisation der deutschen Minderheit gehorsamst den polnischen Narrativen, um nicht bei der Mehrheitsgesellschaft anzuecken, ungeachtet dessen, ob sie damit Vertrauen bei den einheimischen Deutschen verliert, denn diese werden sich schließlich in ihrer Eigenschaft als „einfache Bevölkerungsschichten“[34] den Vorgaben ebenso fügen müssen.
Um die in Oberschlesien vorzufindende Seltsamkeit bei der Begriffsanwendung zu verdeutlichen, bedienen wir uns einer hypothetischen Vorstellung für die Region Südtirol. Dabei wäre davon auszugehen, dass eine Übersetzung des italienischen Begriffs „Alto Adige“ in den offiziellen deutschsprachigen Namen der regionalen Institutionen zu gebrauchen wäre, da der eigentliche Name „Südtirol“ eine politische Bedrohung für die gesamtitalienische Staatlichkeit dargestellt hätte. Die zu gebrauchenden Bezeichnungen wären dann in der deutschen Sprache die folgenden gewesen: „Landtag der Oberen Etsch“ bzw. „deutschsprachige Minderheit der Oberen Etsch“. Eine linguistische Hypothese, die gar einer unzumutbaren Vorstellung gleicht. In Oberschlesien wird diese sprachliche Verdrehung beim Gebrauch von Namen jedoch angewandt, wobei sie ein deutlich wahrnehmbares Anzeichen von einer nicht vollständig aufgearbeiteten Vergangenheit ist, die zudem nicht angesprochen wird.
Es sollte deshalb die deutschstämmigen Oberschlesier nicht verwundern, wenn sie im deutschsprachigen Raum auf Reaktionen von (wahrlich deutschsprachigen) Muttersprachlern des Deutschen stoßen, sie seien keine Deutschen, sondern Polen. Denn letztlich wird ihnen in Oberschlesien ein polnisch geprägtes Bild der Region seitens der Vertreter der vermeintlichen deutschen Minderheit vermittelt. Dieses wird ihnen zudem öfter in polnischer bzw. schlesischer Sprache als auf Deutsch mitgeteilt. Die Vertreter der deutschen Minderheit sind schließlich von den polnischen Vorgaben abhängig und entnehmen alles „Deutsche“ in ihren Narrativen als „zu deutsch“, das ja als „bedrohlich“ von der polnischen Mehrheitsbevölkerung wahrgenommen werden könnte. Folglich passen die Vertreter der oberschlesischen Deutschen ihre Narrative an die polnische Betrachtungsweise an, unabhängig davon, ob diese von den Deutschen in der Heimat als befremdlich wahrgenommen werden und die Organisationen letztlich ihren Zuspruch verlieren.
Als Gegenbeispiel sei hierbei erwähnt, dass die Begriffe „Oberschlesien“, ebenso wie „Westoberschlesien“ und „Ostoberschlesien“, viel öfter von Vertretern der schlesischen Organisationen gebraucht werden, diese jedoch – vor allem die Bewegung für die Autonomie Schlesiens (RAŚ) – polnischerseits in den konstruierten Narrativen „als separatistische Bedrohung für den polnischen Staat“ dargestellt werden. Aus dem Grund mögen sich zwar die einheimischen Oberschlesier womöglich nicht an die RAŚ-Organisation offiziell gebunden fühlen, doch ganz sicher gewinnt die dahinterstehende regionale Idee bei den regionalen Menschen an Bedeutung. Diese sehen ihre schlesische Sprache als Sprache und ihre Region als eine Eigenheit an, wodurch der stolze Ausdruck von „schlesischen Haltungen“ an steigernder Popularität gewinnt und sich erfolgreich etabliert, ungeachtet der politischen Lage in Polen.
Aufforderung eines jungen Intellektuellen der Heimat
Als ein deutschsprachiger Oberschlesier der jungen Generation kann ich zwar nicht stellvertretend für alle sprechen, aber dafür meinen Standpunkt offenbaren. Ich fordere hiermit die Vertreter der deutschen Minderheit dazu auf, ein gerechtes Bild der Region zu vermitteln, das den modernen deutschen Narrativen entspricht, und damit aufzuhören sich als „die bravste Minderheit Europas“[35] zu benehmen. Zudem fordere ich, dass damit aufgehört wird – jungen Menschen – mit polnischen Narrativen und in polnischer Sprache vorzugaukeln, eine deutsche Minderheit zu sein, da diese innerhalb der vergangenen 30 Jahre weder eine deutschsprachige geworden ist, noch sich dafür aktiv einsetzt eine wahrhaft deutschsprachige in der Gegenwart zu sein.
Genauso will ich die Vertreter der deutschen Minderheit dazu auffordern, nicht auf Menschen wie mich die Schuld und die Konsequenzen für die misslungenen – oft politisch motivierten – Entscheidungen aus der jüngeren Vergangenheit zu schieben, indem insinuierte Vorwürfe geäußert werden, ich würde mich nicht engagieren, die Strukturen zu wenig unterstützen, nur an Profite denken und so schnell wie möglich auswandern wollen. Nehmen Sie doch diesen Text als ein wichtiges Geschenk an, an dem Sie wachsen können. Bitte betrachten Sie es – wie aus meiner Erfahrung mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern hervorgeht – nicht als „Geschwafel“ oder „die üblichen Beschuldigungen“, sondern als aktives Engagement intellektueller Art. Dieses wird von Ihnen leider viel zu selten vollzogen, was anhand der von Ihnen geführten Narrative zu entnehmen ist. Versuche Sie die hierbei angeführten Richtungen anzustreben und die dargebotenen Lösungsvorschläge umzusetzen.
In Wahrheit ist es schließlich so, dass Sie behaupten über eine „Monopolstellung der traditionellen, ideologisch gefärbten Heimatdichtung“[36] zu verfügen und dieser nachzugehen, die jedoch von allen, die eine langzeitige Erfahrung im deutschen Sprachraum sammeln konnten, überwiegend ignoriert wird, da Ihre Angebote nur äußerst geringfügig eine deutsche Perspektive vertreten. Abgesehen davon ist bei Ihnen die Möglichkeit zum deutschsprachigen intellektuellen Austausch – anders als es zu erwarten wäre – eine derart große Seltenheit, dass diese schließlich als nicht gegeben wahrgenommen werden kann.
Europäische Standards in Minderheitengebieten
Ich hoffe, Sie – Personen aller narrativführenden Berufe – haben durch Ihre langjährige Fachausbildung genügend intellektuelle Befähigung entwickeln können, um die dargebotenen Argumente und Umstände zu berücksichtigen. Darüber hinaus, dass sie als ausgebildete Fachkräfte, die Ihre Tätigkeit in bzw. über die oberschlesische Region ausführen, auch über das Bewusstsein verfügen, dass die nötigen sprachlichen Kompetenzen aller drei Sprachen Oberschlesiens – Deutsch, Schlesisch, Polnisch – unabdingbar sind. Diese gelten nämlich in einem europäischen Land als obligatorische Voraussetzung, um zuverlässig über das Geschehen einer derart komplexen Region zu berichten, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, Narrative zu führen und perspektivensichernde Entwicklungen zu erzielen. Daraus ergibt sich, dass Sie auch diesen Text ohne Probleme verstehen müssten.
Die aufgezeigte Erwartungshaltung entspricht den europäischen Standards hinsichtlich meinungsbildender Berufe, die in Gebieten mit Minderheiten dieser Größenordnung wie in Oberschlesien ausgeführt werden, und einem zu erwarteten ungeschriebenen ethischen Arbeitscodex folgen. Andernfalls kann ich es mir nicht vorstellen, wie Sie imstande sein sollen, meine Perspektive und die der anderen einheimischen Oberschlesier nachzuvollziehen und vollumfassend zu repräsentieren, ohne die aktive Kenntnis oder ein passives Verständnis aller drei Sprachen der Region. Diese Voraussetzung ist an alle Personen der narrativführenden Berufe gerichtet. Auch wenn es sich bei einigen von Ihnen um gebürtige Oberschlesier handeln sollte, ist die von mir aufgezeigte Erwartungshaltung eine, die den heutigen demokratisch orientierten Bürgergesellschaften entspricht, an diese Ansprüche stellt, um nötige Standards zu erzielen, und somit einer authentischen Völkerverständigung dient.
Bei narrativführenden Berufen sind solche Voraussetzungen hinsichtlich Regionen wie Oberschlesien unentbehrlich und erlauben keine Ausnahmen. Andernfalls kann das in der Region verborgene Potenzial und europäische Kulturerbe verkümmern und letztlich vernichtet werden. Deshalb gilt in Europa die Unkenntnis von den für die Region typischen Sprachen als eine unzureichende Qualifikation zur Ausführung eines narrativführenden Berufes in Gebieten mit einheimischen nationalen und ethnischen Minderheiten dieser Größenordnung, und ist somit als unzulässig zu betrachten. Bei fehlenden bzw. unzulänglichen Sprachkenntnissen besteht immer die Möglichkeit zum unverzüglichen Nachholen der benötigten Kompetenzen vor dem Beginn der Ausführung der beruflichen Tätigkeit, da diese als obligatorische Voraussetzungen gelten (siehe: Sprachnachweispflicht in Südtirol). Von daher verwundern mich Missstände in Oberschlesien, dass die meisten Journalisten in der Woiwodschaft Oppeln und in Oberschlesien allgemein, über keine aktiven und öffentlich wahrnehmbaren Deutschkenntnisse verfügen, ebenso wenig die polnischen Politiker, wie auch die Politiker der deutschen Minderheit, z.B. der einzige Sejm-Abgeordnete der deutschen Minderheit – Ryszard Galla. Solche Missstände zeugen davon, dass in Polen die EU-Standards, hinsichtlich der Sprachkenntnisse in multikulturellen Gebieten, noch lange nicht erfüllt werden. Dieser Missstand erlaubt keine Duldung und darf (gar muss!) von Bürgern eingefordert werden.
Minderheitenrechte sind Berechtigung per se
Das Einfordern von zustehenden Minderheitenrechten von Menschen anderer als polnischer Herkunft in Oberschlesien zu einem ebenbürtig gleichwertigen Leben von Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft, ist nicht anzuzweifeln und bedarf keiner Ausführung von Begründungen. Dies garantieren bereits die zustehenden Minderheitenrechte und diese dürfen von der Minderheitengesellschaft bei der Mehrheitsgesellschaft ohne Weiteres abverlangt werden. Ist dies nicht der Fall, so ist der Staat kein Minderheitenrechte respektierender, umsetzender und wahrhaftig gewährender Rechtsstaat. Zudem ist ein solches Land kein sich für das aktive Fortbestehen des europäischen Kulturerbes einsetzender Staat, sondern ein nationalistisch geprägtes Politikum der Mehrheitsbevölkerung, die wiederum nicht gewillt ist, eine wahre Toleranz – sondern lediglich eine „repressive Toleranz“[37]– zu gewährleisten.
Immer wieder wird auf die Beschreibung der gegenwärtigen Schlesier von Kazimierz Kutz verwiesen, dass ihre typische Eigenschaft eine „dupowatość“ sei, was wörtlich mit „Arschigkeit“ übersetzt werden könnte und eine „schlesische Trotteligkeit“ meint. Im Schlesischen wird auch dieser „trotteligen Logik“ folgend gesagt, man soll niemanden in den Allerwertesten kriechen, denn dann hat diese Person den sich um die Anerkennung Bemühenden genau in diesem Teil des Körpers. Um es mit einer anderen gängigen Logik zu versuchen: Nicht immer soll der Klügere nachgeben, denn folglich verfügen die Verbliebenen an Führungspositionen über mindergute Qualitäten, und bringen folglich noch alle auf den Irrweg, was seit einigen Jahren sehr deutlich am Beispiel der Politikführung in Polen zu entnehmen ist.
Aus (der) Ferne Nähe erzeugen…
Ich hoffe, dieser Beitrag ist ein entgegengesetztes Beispiel für eine „schlesische Arschigkeit“, sondern verhilft dabei den Oberschlesiern und ihren strukturellen Vertretern aller politischen Gesinnungen Mut zu gewinnen und das Wort zu ergreifen, um die Position der „bravsten Minderheit Europas“[38] wagemutig zu verlassen.
Wir – Oberschlesier – haben vieles zu sagen, doch äußern uns zu wichtigen Themen meist nur im privaten Rahmen, aus Angst diskriminiert zu werden. Damit ist Schluss! Denn eine verantwortungsvolle, von Bürgern geführte Demokratie benötigt auch unsere öffentlichen Meinungsäußerungen und unsere Standpunkte, um zu erfahren, was unsere Bedürfnisse sind und welche bislang bestehenden Dinge eine (dringende) Veränderung benötigen. Wir geben genauso wie die Mehrheitsgesellschaft den Kurs an und geben mithilfe der uns zustehenden demokratischen (Minderheiten)Rechte ebenso den Ton an, wie die polnischen Bürger der Gesellschaft in der Region. Das ist in jedem EU-Land der Fall, in dem die Demokratie von Bürgern bestimmt wird. Bestimmen wir also mit, so dass unsere Demokratie eine an Bürgern orientierte und von Bürgern bestimmte ist.
Um auf Goethes Satz über Schlesien und die Schlesier zurückzukommen – „Fern von gebildeten Menschen“[39] – so trage ich mit meiner Haltung dazu bei, dass die Entfernung sich verringert, obwohl dies ein äußerst schwieriges Unterfangen zu sein scheint. Zudem behaupte ich wagemutig, dass diese Aussage für meine Person nicht zutrifft, da der Umgang mit gebildeten Menschen, wie auch Weiterbildungsmöglichkeiten selbst, mir wie Quellen neuer Lebensenergien sind. Wie sieht es bei Ihnen damit aus?
Adam Kubik – Ing., M.A., Doktorand der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Fach Germanistik im Kulturvergleich, Alumnus der Heidelberger Graduiertenschule für Geistes- und Sozialwissenschaften (HGGS), war BW-Deutschlektor an der Yale University (2018-2019), Oberschlesier aus dem Annabergland. Folgt dem Motto seiner aktuellen Universität – Semper Apertus, „das (…) nicht nur für Weltoffenheit [steht], sondern auch für die Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen, Diskussionen und Entwicklungen – es steht für Innovation und damit für die Gestaltung der Zukunft.“[40]
[1] Vgl. Horst Fuhrmann (1989): ‘Fern von gebildeten Menschen‘. Eine oberschlesische Kleinstadt um 1870, München, S. 13.
[2] Barbara Siller (2011): Die Schweigesprachen – ein wiederkehrender Topos im Literaturraum Südtirol. In: Grote, Georg & Siller, Barbara (Hrsg.): Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen. Innsbruck, 139-151, hier. 139.
[3] Ebd., S. 139.
[4] Vgl. Pädagogisches Institut für die deutsche Sprachgruppe – Bozen. (2000 – 2021). URL: https://www.blikk.it/angebote/damals/syndromex/de/literatur7.htm (Zugriff: 09.04.2021)
[5] Eva Pfanzelter (2013): Die (un)verdaute Erinnerung an die Option 1939. In: Geschichte und Region/Storia e regione, 2 (2013), Innsbruck – Wien – Bozen / Bolzano, S. 13-40, hier. S. 28.
[6] Vgl. August Scholtis (1932): Ostwind. Roman der oberschlesischen Katastrophe. Berlin.
[7] Vgl. Szczepan Twardoch (2014): Drach. Kraków.
[8] Vgl. Rokita, Zbigniew (2020): Kajś. Opowieść o Górnym Śląsku [Irgendwo. Eine Erzählung über Oberschlesien], Wołowiec.
[9] Vgl. Joseph Zoderer (2002). Die Walsche. Roman (3. Auflage). Frankfurt a. M.
[10] Zoderers Walsche scheint mit dem Buchtitel an die Geschichtsverarbeitung Leonias aka Helena Buchners Hanyska (2006) zu erinnern, doch tatsächlich widmet sich Die Walsche der Nachkriegsgeneration und ihrer Nachkommen, somit verarbeitet es die spätere Zeit und die dem heutigen Leser aktuelleren Umstände.
[11] Evelyne Polt-Heinzl (2017): Gruppenbild mit Joseph Zoderer. Als eine AutorInnengeneration den Neustart probte. In: Klettenhammer, Sieglinde & Wimmer, Erika (Hrsg.), Joseph Zoderer – Neue Perspektiven auf sein Werk. Internationales Symposium November 2015. S.11–24, hier S. 18.
[12] Vgl. Pädagogisches Institut für die deutsche Sprachgruppe… (wie Anm. 4).
[13] Claus Gatterer (1992): Schöne Welt, böse Leut. Kindheit in Südtirol. Wien.
[14] Maxi Obexer (2017): Europas Längster Sommer. Roman. Berlin, S. 16
[15] Ebd., S. 17.
[16]Jo Hannes Schlonsok (2019): (Nicht) (mehr). In: Kulturelemente. Zeitschrift für aktuelle Fragen, Nr. 148/2019, Distel Vereinigung, Bozen, S. 5; auch bei Wachtyrz.eu: https://wachtyrz.eu/nicht-mehr/.
[17] Freddy Derwahl (2006): Bosch in Belgien. Eupen, S. 307.
[18] vgl. Anneleen Vanden Boer (2012): Language and Nation: The Case of the German-Speaking Minority in Belgium, in: Nils Langer, Steffan Davies & Wim Vandenbussche (Hrsg.), Language and History, Linguistics and Historiography. Interdisciplinary Approaches. S. 255–267, Oxford, hier S. 261-265.
[19] Freddy Derwahl (2006): Bosch in Belgien… (wie Anm. 17).
[20] Vgl. Botschafter der Hauptstadt des polnischen Liedes – URL: https://www.opole.pl/de/dla-mieszkanca/botschafter-der-hauptstadt-des-polnischen-liedes (Zugriff: 09.04.2021).
[21] Vgl. mit den Veröffentlichungen der Germanistik in Oppeln und den Ortsangaben zu den an der Oppelner Universität tätigen Personen, Beispiel: die Reihe „Germanistische Werkstatt“ – Gebrauch der monoligualen Bezeichnungen „Uniwersytet Opolski“ und „Opole“.
[22] „jon”(2005): Kamusella nie naruszył racji stanu [Kamusella verletzte nicht die Staatsraison], vom 17.01.2005, in: Wyborcza.pl. URL: https://opole.wyborcza.pl/opole/1,35086,2498609.html (Zugriff: 09.04.2021).; Tomasz Kamusella: Odwołanie od oszczerczej i upolitycznionej uchwały n/t mej osoby wydanej przez Radę Wydziału Filologicznego UO 13 maja 2004 [Berufung gegen den verleumderischen und politisch motivierten Beschluss zu meiner Person, ausgestellt vom Rat der Philologischen Fakultät der Universität Oppeln am 13. Mai 2004], URL: https://www.academia.edu/33142369/Oct_11_2004_T_Kamusellas_Reply_to_the_Faculty_of_Philologys_Opole_University_May_13_Declaration_on_T_Kamusellas_The_Glosssary (Zugriff: 09.04.2021)
[23] Vgl. Karolina Pospiszil (2019): Wspólnototwórczy wymiar przekładu Casus XXI-wiecznych przekładów górnośląskich [Der gemeinschaftsbildender Aspekt der Translation am Beispiel der oberschlesischen Übersetzungen des 21. Jahrhunderts], in: Przekłady Literatur Słowiańskich [Übersetzungen des Slawischen Literaturen], 9(2), S. 79-102, hier S. 89-90. https://doi.org/10.31261/PLS.2019.09.02.05
[24] Maxi Obexer (2017): Europas Längster Sommer… (wie Anm. 14), S. 16.
[25] Ebd., S. 17.
[26] Vgl. Luxembourg – Sprachen in der Schule. URL: https://luxembourg.public.lu/de/leben/bildung/sprachen-in-der-schule.html (Zugriff: 09.04.2021)
[27] Freddy Derwahl (2006): Bosch in Belgien… (wie Anm. 17), S. 189.
[28] Ebd., S. 9
[29] Vgl. Botschafter der Hauptstadt des polnischen Liedes… (wie Anm. 20).
[30] Przemysław Malinowski (2021): Janusz Kowalski przeciw niemieckim nazwom. “Tu jest Polska!” [Janusz Kowalski gegen deutsche Namen. „Hier ist Polen!“], vom 07.02.2021, bei rp.pl. URL: https://www.rp.pl/Solidarna-Polska/210209527-Janusz-Kowalski-przeciw-niemieckim-nazwom-Tu-jest-Polska.html (Zugriff: 09.04.2021); Rudolf Urban (2021): „Wir sind doch hier zuhause“, vom 09.02.2021, bei wochenblatt.pl. URL: http://wochenblatt.pl/wir-sind-doch-hier-zuhause/ (Zugriff: 09.04.2021).
[31] Czok, Monika (2020): Das Oppelner Schlesien. Die Region, ihre Bewohner und ihre Identität in wissenschaftlichen und publizistischen Diskursen. Wrocław – Dresden.
[32] Michał Smolorz (2012): Śląsk wymyślony [Das erfundene Schlesien], Katowice.
[33] Freddy Derwahl (2006): Bosch in Belgien… (wie Anm. 17).
[34] Evelyne Polt-Heinzl (2017): Gruppenbild mit Joseph Zoderer… (wie Anm. 11).
[35] Freddy Derwahl (2006): Bosch in Belgien… (wie Anm. 17).
[36] Vgl. Pädagogisches Institut für die deutsche Sprachgruppe… (wie Anm. 4).
[37] Herbert Marcuse (1966): Repressive Toleranz. Essay, in: Kritik der reinen Toleranz. Übersetzt von Alfred Schmidt. Frankfurt/M.
[38] Freddy Derwahl (2006): Bosch in Belgien… (wie Anm. 17).
[39] Vgl. Horst Fuhrmann (1989): ‘Fern von gebildeten Menschen‘… (wie Anm. 1).
[40] Universität Heidelberg „Semper Apertus“ – URL: https://www.uni-heidelberg.de/presse/unispiegel/us06spez1/uni.html
Es versetzt einen schon ziemlich stark ins Staunen und , dass sich niemand öffentlich zu den angeführten Thesen bislang geäußert hatte.
Entweder zeugt es davon, dass der Text zu lang(weilig), zu komplex, zu unverständlich erschien, oder aber davon, dass aus Angstgründen keine eigenen, persönlichen, politisch zugestehenden Stellungnahmen nicht vorhanden sind, weil die Bevölkerung sich durch einen hohen Pegel der Einschüchterung von der Mehrheitsgesellschaft auszeichnet und einlullen lässt, oder aber auch von möglicher Indifferenz oder Sonstigem getrieben wird…
Mehr Mut!