Gabriela Szewiola: Kleines Oberschlesisches Triptychon
KLEINES OBERSCHLESISCHES TRIPTYCHON
1.
Immer wenn du sie durchstreifst
den Schatten entlang oder kreuz und quer
und lauschst nach Namen und nach Rufen
diese Quartiere und Straßen
blind zahnlos und stumm
deren Muster und deren Bescherung
Abriss und Aufhebung sind
Du findest sie nicht die Mündung
ins Beben und Getöse der Hütte
stattdessen überall ringsum Schlaf
grünes Birkenflimmern und dichte Stille
Wie die Mauern einer Dornröschenburg
wächst das neue Fell der alten Erde
Sind sie nun endlich frei vom Donner des Stahlwerks
oder verurteilt zur ewigen Leere
2.
Es ist nie Ödland und nie ist es das Ende
die Narben wachsen zu
die ergraute Zeit verschließt das Gedächtnis
Winde streifen die Albträume aus dem Gesicht
Kinderfüße Kinderträume treten neue Wege an
runter zum glitzernden Fluss
Erloschen zur Asche ist die Verzweiflung
im Ruß im Dunst im Geheul der Sirenen
vor den geschlossenen Toren
Fast ist es so als wäre da nichts gewesen
doch halte mal inne und horch
drei Meter tief und auch dreihundert
brodelt und rumort es
das Getümmel der Geister
der verschlungenen Leben
3.
Zerrissen und zersetzt
verklebt von Schmutz und Schweiß
geflickt mit Schildern der neuen Zeit
diese Fetzen von Ruda Borsigwerk Frincita
Einmal losgelaufen wirst du hier immer in den Sog geraten
wirst nicht mehr aufhören zu laufen
den Weg zwischen Einfahrten und Hinterhöfen
und zu suchen nach ihren Schatten und Schritten
und dem Schriftzug der etwas erklären soll
Nur verzerrte Bilder kommen auf in deinen Augen
doch dann abends wenn du sie schließt in Erschöpfung
treten sie alle hervor aus dem Schatten
Großvaters Schwestern mit ihren schönen Vornamen
Flora Rita Selma und Alma
und die kräftigen Burschen aus der Nachbarschaft
zurück von der Spätschicht
sie fassen sich an den Händen und tanzen im Reigen
im glühenden Band um die Ziegelhäuser
die Birkenhaine Straßenbahnen und Fabrikhallen
und es sprüht ein Feuerwerk
aus der letzten Kokerei