Monika Neumann: Der Holzwurm auf dem farbigen Skelett
Der Holzwurm, still versteckt, verzerrt mit Eifer die Wände der alten Holzkirche. Die Holzbalken, durchdrungen durch Weihrauch und die von Generationen geflüsterten Gebete, verleihen dem Abendmahl des kleinen Geschöpfes ein besonderes Aroma. Er frisst sich durch das Holz, durch die grüne Ölfarbe, die die Wände bedeckt, gelangt dabei an die Oberfläche, schöpft kurz frische Luft und versteckt sich wieder in der geborgenen Dunkelheit der alte Holzbalken. Eine alte Frau, deren Haar silbern bespickt ist, flüstert ein Gebet, die Perlen des Rosenkranzes bewegen sich dabei rhythmisch zwischen den Fingern der abgearbeiteten Hand. Sie hört ein Kratzen, als würde jemand mit dem Fingernagel gegen die alte Wand fahren. Auf einmal hört es aber auf, der kleine Wurm unterbricht sein Abendmahl. Er wollte in das nächste geräucherte Holzbrett hineinbeißen, durchdrungen durch ein Sicherheitsgefühl, das ihm sein dunkles Versteck schenkte, aber unter einer dicken Schicht grüner Ölfarbe, wartete etwas auf ihn. Wartete darauf, dass jemand endlich aufschaut und etwas entdeckt. Der frostige Atem nahm dem kleinen Holzwurm jeglichen Appetit, weiter nahm er dem kleinen Geschöpft jegliche Lebenslust.
Die Gestalt hüllte sich wieder in ihre Einsamkeit. Zu viele Jahre verbrachte sie unter dieser scheußlichen Farbe. Diese umschlang mit einer öligen, klebrigen Schicht die Form, all die Vertiefungen und Bögen ihres Körpers, sie überschwemmte die leeren Augenhöhlen, verbarg die hohen Wangenknochen und den eckigen Kiefer. Ihre Gliedmassen verkrampften, blieben still im Tanz, den sie nie zu Ende führen konnte.
Viele Jahre hindurch verinnerlichte sie in der Stille, die sie umgab, die Gebete, Sehnsüchte und Hoffnungen der Menschen, die in die alte Holzkirche kamen und neben ihr niederknieten um den Gott vor ihnen anzubeteten. Sie hörte zu, wie die alten Dielen auf dem Boden unter ihren Füßen jammerten, wie ihre Stimme oben vom Chor hinunter flossen und ihr kalter Atem fröstelte ihre Nacken, sie aber meinten es ist kalt und zieht in der Kirche.
Bis schließlich, eines Tages, das hartnäckige Kratzen eines Taschenmessers es ihr erlaubte wieder Tageslicht zu erblicken. Ein kleiner Fetzen Ölfarbe fiel ab, aber für sie öffnete sich wieder die Sicht auf die alte Holzkirche. Sonnenstrahlen sickerten durch die Mosaikfenster, in dem durch die vielen Farben gesättigten Licht wirbelten Staubkörner herum, erschrocken und unsicher wie sie waren, wussten sie nicht, ob sie schon auf den Boden herabsinken konnen und zögerten mit der Entscheidung, kämpften gegen die Anziehungskraft der Erde an, blieben in der Luft hängen, in dem kalten Blick des Bierdzaner Todes. Das Zwielicht rundherum half dem Tod sich an den neu wiedergewonnenen Sinn zu gewöhnen und so konnte er genau den Priester anschauen, der mit einer Mischung aus Bewunderung, Schrecken und Demut hinausschrie:
–Widzę śmierć!
–Dej pozōr i bōńdź grzeczny, abo cie postrasy tyn potwōr.
-Wyglōndŏs jak bierdzańskŏ śmierć- sagte eine alte Frau zu ihrer Enkelin, die ihr Haar unvorteilhaft dunkel gefärbt und die Augen mit dickem schwarzen Strich umrundet hatte und der Tod wurde innerlich immer Kleiner, das Messer, dass er in der Knochigen Hand hielt, zitterte.
Traurig und schüchtern schaute der Tod den Mann an, der ihm in Gold und Reichtum gegenüber aß und zeigte auf die Sanduhr, in der schon vor Jahrhunderten die Zeit ausgegangen war. Er blickte auch auf die Menschen, die in und aus gingen und auf ihre Stundengläser, in denen immer noch Zeit floss, aber längst nicht so langsam, wie es ihnen schien.
So kam es, dass eines Morgens, als die Sonne unsicher ihr Licht durch das runde Fenster über dem Altar schob, ein Kind in die Kirche kam und unter den schweren und immer noch unbeholfenen Schritten des kleinen Menschen, die Holzdielen teils aus Bedauern, teils aus Entzückung seufzten. Mit einem trotzigen Blick beschaute das Kind alles um sich her, setze sich in der Kirchenbank und auf die Bitte der Großmutter że mŏ być grzeczne, sam rzykać i farŏrza słuchać nickte es nur mit dem Kopf und antwortete ja, oma, bandam und beschaute erneut, diesmal noch mehr eingehend, die Kirche.
Die neugierigen Augen wanderten zwischen den Bildern, die alle Wände der Kirche schmückten. Das Kind lass die Bibel, die so vor so langer Zeit ohne Buchstaben niedergeschrieben und versteckt wurde. Dabei ermöglichten diese Bilder dem Kind, dessen Verstand noch nicht den Worten des Pfarrers folgen konnte, das alles mit dem Herzen zu begreifen. Das Kind verstand so, wie die vielen Generation zuvor, die der Melodie der lateinischen Gebete horchten und ihnen den Sinn mit dem tief in Herzen verborgenen Bitten verleihten.
Das Kind blickte auch auf den Tod, der aufgemalt, nackt und traurig dastand. Es schaute auf die Personifikation von Angst, Drohung, Schicksal und Zukunft, auf Mahnung und Wahrheit, auf ein verborgenes und verkauftes Leben und obwohl es das alles nicht wissen konnte, verstand das Kind es. Mit Neugier drehte es den Kopf etwas zu Seite und lächelte so, wie nur ein Kind es kann, nachdenklich und mit tiefem Verständnis eines jungen, noch nicht durch die lügnerische Lebensweisheit verzerrten Wesens. Es blickte auf den reichen Mann, der mit beiden Händen krampfhaft das Gold an sich riss. Das Kind schaute auch auf die Leere Stundenuhr und fragte sich, ob es wert war, all die kleinen Sandkörner zu verkaufen, ungeachtet dessen, wie viel Gold man als Entgeltung bekam.
–Oma, ôbejrz, śmiertka mu cołki piŏch wysuła- flüsterte das Kind und zeigte auf die Szene, die sich auf der Seitenwand der Kirche ereignete. Die Frau drehte sich zwar um, schaute aber nicht mit ihrem inneren Blick. Sie setze sich das Kind auf den Schoss, so, dass es die Melodie des Gebetes hörte und die Wörter, die sie sprach verinnerlichte. Das Zwielicht, der Weihrauch und der Rhythmus der still geflüsterten Gebete im Einklang mit den Glocken, die der Messdiener vorsichtig läuten ließ, machten das Kind schläfrig. Der kleine Kopf sank auf die weiche und warme Brust der Großmutter, in der im Rhythmus des Gebetes ein liebendes Herz schlug.
Der Tod drehte unbemerkt den Kopf etwas zu Seite um sich das Kind, das keine Angst vor ihm hatte, anzuschauen. Das Kind, dass keine Angst hatte und ihn so gut verstand, obwohl es noch so klein war. So viele Jahre hindurch Blicke der Tod auf die Angesichter der Heiligen, auf Gottesbildnis, auf Adam und Eva, lehnte sich an die Holzwände, nie aber fühlte er so stark, dass er ein Teil dieser Kirche war. Seine knochigen Gliedmassen klammerten sich an die Wände, die Hand fasste das Schwert sicher im einen starken Griff und zeigte auf die Stundenuhr. Mit dem leeren Blick umfasste er die ganze Kirche und mit dem kalten Atem und all der Bedeutung, die ihm durch die vielen Generationen von Menschen verliehen wurde, fing der Tod an zu flüstern, die Menschen mögen die kleinen Sandkörner, die durch die Verengung im zarten Glass herunterrieselten, gut ausnutzen.
Monika Neumann – Te ôpolske dziołchy, wielkie paradnice, kŏzały se posyć cerwone spōdnice… Monika Neumann czerwonej spódnicy jeszcze nie posiada, ale ôpolskōm dziołchōm jest z krwi i kości. Jest studentką Instytutu Filologii Germańskiej w Opolu i już za bajtla odkryła w sobie szczególne upodobanie do historii o tym, jak na jej małym skrawku Ślōnska bōło piyrwej.