Überlegungen über die Sinnhaftigkeit des Schreibens in Oberschlesien
Warum Literatur? Und warum das Schreiben? Und warum ausgerechnet die lyrische Ausdrucksweise? Die großen W-Fragen… sind mit einem „JA” zu beantworten.
Es bricht nicht nur das logische Konzept: Nach einer W-Frage dürfe keine Ja-Nein-Vielleicht-Antwort folgen, genauso wenig, wie die in den Texten dargebotene Identifikationsform der Oberschlesier[1] nicht einem so oft vorzufindenden Muster nach der Wahl einer einzigen Identitätszuschreibung erfolgen solle, sondern es ist vielmehr als eine Bejahung der eigenen oberschlesischen Existenz zu deuten. Einer Herkunft aus der wundervollen und doch von viel Leid erfahrenen Region, die durch und durch Europas Mitte darstellt.
Es ist der Bedarf den eigenen Landsleuten jenes näherzubringen, was unsere Vorfahren ausleben konnten, doch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute nicht in der lebendigen Wahrnehmung wiedergeboren wurde, obwohl die laufenden Prozesse als Versuche, diese Identität erneut aufleben zu lassen, noch stets im Gange sind und nur schwerlich ihre Früchte tragen, und dabei zudem sehr häufig als zahlreiche Rückschläge eingesteckt werden müssen.
Es ist metaphorisch mit einer verstaubten Identität der Oberschlesier zu verstehen, die bildhaft in einem der Texte als „Deutschtum”, das „unter einer dicken Staubschicht (…) vergraben“[2] präsentiert wurde. Eine Identität, die viel zu oft in gewisse Muster gedrängt wird, mit denen aber ein Oberschlesier nicht wirklich zurechtkommen vermag, ob er oder sie nun deutsch, polnisch, schlesisch oder etwas dazwischen sei. Um jedoch seine eigene Identität in Worte zu fassen, die der aktuellen Zeit entsprechen würden, fehlt es oft an eigenen gegenwärtigen kulturellen Wegweisern und Vorbildern, die Vorschläge einer der Gegenwart entsprechenden Zuschreibung künstl/ich/er/ischer Art skizzieren würden.
Ein seiner Identität bewusster Oberschlesier denkt mit seinem Herzen und fühlt mit seinem Verstand, wie es nach Eichendorff so oft Erzbischof Alfons Nossol zu sagen pflegte. Es ist die Dichtung die Antworten erteilt, auf die uns drängenden und quälenden Fragen, die wir oft unbewusst mit einem Unbehagen in uns tragen, da die vorgehaltenen Muster, die ebenso oft aus der politischen Situation entspringen, nicht unser „wahres Seiende” widerspiegeln können.
Die tiefe Not nach einer künstlerischen Rechtfertigung zum „Dasein-Dürfen”, zu der wir (besonders heute durch rechts-populistische Politiker) zur Rechenschaft gezogen werden, von jenen, die uns nicht verstehen können, weil sie uns nicht wirklich kennenlernen wollten. Aber auch bedauerlicherweise zum Teil, weil wir uns selbst nicht mehr verstehen vermögen.
Durch diese Form der „Suche nach Wörtern und Worten” (zuerst nach geschriebenen Wörtern – da nur sehr wenige von uns das Deutsche im Alltag gebrauchen – und folglich nach gesprochenen Worten, da die geschriebenen Texte ausgesprochen werden), nach dem was uns ausmacht, könnte eine neue Diskussion und Reflexion über uns als Oberschlesier des 21. Jahrhunderts ausrufen, und einem Europa, das uns Chancen gibt, auch wenn wir zu oft seitens der regierenden Politiker zu hören bekommen, es sei ein Weg ins Verderben. Es ist letztlich ein Weg voller Herausforderungen, wie das Leben selbst zu sein vermag, doch dem wir gemeinsam Stand halten wollen, indem wir aus Angst vor jenen Herausforderungen nicht fliehen, sondern mit Bedacht die wichtigen Dinge ansprechen wollen, auch wenn es manchmal noch Geister aus der Vergangenheit gibt, die uns daran versuchen zu hindern, sodass wir uns in der Gegenwart nicht zurechtfinden.
Darüber hinaus ist es ein weiterer Versuch, die Gegenwart und Zukunft nach unsrer eigenen Vorstellung zu gestalten, und nicht nach den Ideen einer Fremdzuschreibung, die uns früher oft aufgeworfen wurden oder teilweise immer noch aufgezwungen werden.
Hierbei geht es letztlich um Eins: Die Dichtung als Form eines künstlerischen Ausdrucks ansehen, die neue Identifikationsformen aufzeigt, die der aktuellen Zeit entspringen und deshalb diese auch erfassen möchte.
Jo Hannes Schlonsok
[1] Unabhängig des Genus und Numerus des Subjekts werden in diesem Text alle Geschlechter gemeint.