Einen małą black kafej, bitte
Wartend auf den Augenblick, in dem die Bedienung sich mir nähern wird, schwanke ich in meinen Gedanken darüber grübelnd in welcher Sprache ich mich der Person annähern soll, und ob es überhaupt eine Annäherung geben wird, aufgrund möglicher Begegnungsunannehmlichkeiten, die daraus resultieren könnten, dass das Deutsche hier bereits abgelegt und gleichzeitig zur Feindessprache ernannt worden ist.
Die junge Kellnerin kam freundlichen und leicht hüpfenden Schrittes mir entgegen, dabei war ihr scheues Lächeln durch die Mundschutzmaske zu entnehmen. Sie begegnete mir mit polnischen Worten, die sich zu einer Frage nach meiner Bestellung formten.
Den „kleinen, schwarzen Kaffee“ bestellte ich auf Deutsch und stieß dabei auf ein fortwährend erhaltenes freundliches: „Sorry?“. Daraufhin wiederholte ich den Wunsch, einen „kleinen, schwarzen Kaffee“ bestellen zu wollen in der Sprache meiner Vorfahren und tippte dabei gleichzeitig mit dem Zeigerfinger auf der Menu-ähnlichen Getränkekarte – die an sich aus zusammengehefteten, in polnischer Sprache verfassten und in Klarsichtfolien eingesteckten Getränkelisten bestand – explizit auf die heißen Getränke.
Als die jungblutige Bedienung ihr Unverständnis zeigte, verursacht durch die unerwartete Überraschung einer anderen Sprache zu begegnen, das auf ihrem Gesicht deutlich aufgemalt war, folgte ich der Anforderung mich in der Sprache der Welteroberer zu äußern und entgegnete ihr mit einem „a small black coffee, please“, das sie zügig mit Verständigung aufnahm.
Kurz darauf überflog mich die Wahrnehmung ein Ausländer in der eigenen Heimat zu sein, aufgrund der sprachlichen Unangepasstheit ans vorreitende sprachliche Narrativ der eingezogenen Machthaber, die mir zwar nicht fremd, doch ebenso wenig identitätsstiftend, eher -raubend, vorkommen. Eingenommen von dem Gedanken, folgte ein weiterer – aus der sprachlichen Anpassungspflicht resultierender: Ich biete den hier versammelten Menschen, als ein schlechter Akteur, nur ein miserables Schauspiel an, indem ich ihnen etwas Dummes vorgaukle. Mein rationales Korrektiv setzte bald darauf ein und in der wiederschallenden Vorstellungserinnerung überprüfte es die Szene von Beginn an: Den eigenen sprachlichen Ausdruck in beiden Sprachen, beide Sprachmelodien, Akzente (mit der Hoffnung: Möge das Deutsche, Britische, Amerikanische oder gar das Niederländische sich durchsetzen, bloß nicht das Slawische, weder Schlesische noch Polnische, damit meine Tarnung nicht auffliegt!). Diese Gedanken fanden ihre Besinnung in der Feststellung, mich auf mein eigenes Entscheidungsrecht zu berufen, über den eigenen sprachlichen Gebrauch selbst bestimmen zu dürfen, ohne dass dies eine Rechtfertigung benötige. Zugleich wurde mir bewusst, wie sehr ich von der polnischen Wahrnehmung eingenommen war, die mich seit Wochen – hier seit Minuten – umgeben hatte, welche eben eher diese Angstzustände auslöste, in dem Falle des Nicht-auffliegen-wollens, als dass dieses vorreitende Narrativ wahrlich die Mehrzahl des sprachlichen Kulturerbes Schlesiens anerkennen könnte.
Der Gedanke – ich sei ein Mensch, der die Summe seiner Erfahrungen ist – ließ mich aus dem polnischen Konfliktmuster herausreißen. Im gleichen Augenblick kam ebenso die junge Kellnerin mit blondem Haar zu meinem Tisch, begegnete mir weiterhin freundlich mit etwas holprigem, doch gut gemeintem Deutsch: „Biete schäin“, und servierte mir meinen kleinen schwarzen Kaffee, bzw. a small black coffee, oder gar für sie „małą czarną kawę“.
Ein kleiner Kaffee, in einem fast leeren Lokal voller Gemälde mit Ausblick auf die Basilika, die ich nur wenige Minuten zuvor – nicht so sehr empört, als vielmehr enttäuscht, da fast schon an den Umstand gewohnt – verlassen hatte, als ich nur schwerlich mich aufs Gebet konzentrieren konnte, da statt einer deutschen Messe ich nur falsch intonierte Gesänge mit zahlreichen „Allelujas“ statt eines eigentlichen „Halleluja“ wahrnehmen musste, die die fehlenden Sprachkenntnisse der Versammelten vertuschen sollten und sie gleichzeitig auf diese Weise umso mehr zur Schau stellten, und mir ein auf Polnisch gelesenes Evangelium entgegnete, dem der daneben stehende Franzmann die darauf folgende und in polnischer Zunge gehaltene Predigt ankündigte, die ich jedoch nicht mehr zu hören bekam, da ich bereits die Treppe richtung „Anna“ herunterlief und schwankend mir Gedanken darüber machte, ob ich meine Bestellung auf Deutsch versuchen oder doch im Schlesischen oder Polnischen diese äußern sollte?
Mit dem mittlerweile kaltgewordenen Restkaffee, dessen letzten Schluck ich mit einem leichten Zusammenzucken in mich einnahm, wartete ich nun auf die Bezahlungsmöglichkeit, gespannt darauf in welcher Sprache sie erfolgen möge. Doch als die freundliche Bedienung mehrere Minuten später nicht kam, begab ich mich an die Theke und ohne ein Wort zu sagen, bekam ich von der weiterhin durch ihren Mundschutz freundlich lächelnden Kellnerin samt der zwei Worte – „six, please“ – meine Rechnung. Daraufhin entgegnete ich ihr mit einem „Make it eight, please“ und sie sich der sprachlichen Mentalität angepasst von ihren Lippen einen etwas zu euphorischen Satz losreißen erlaubte „Thank you so much!“, der mir kurzzeitig eine amerikanische Serie ins Gedächtnis rief, wobei ich dies letztlich als einen Akt der nur wenige Augenblicke zwischen den Sprachen andauernden Verbundenheit seitens der Kellnerin und des Kunden empfand, die ihr womöglich nur aus den bislang gesehenen Netflix-Serien bekannt vorgekommen sein mag, als Begegnung mit dem exotischen Fremden, was sich letztlich und lediglich als eine Begegnung dem eigentlich nur anderssprechenden Einheimischen herausstellen müsste, doch sich ihr nie offenbaren würde.
Adam Kubik – geb. 1986 in Groß Strehlitz, ist Doktorand im Fach Germanistik im Kulturvergleich an der Universität Heidelberg, Schlesienforscher, DaF-Lektor, Sachbuchautor, Raumplaner.